Alle kennen mich, doch wirklich kennt mich keiner. Ich kann sie hören. Ihre Gedanken und Worte, still und heimlich gesprochen. Über mich. Getuschelt hinter vorgehaltener Hand. Sie mustern mich & urteilen & bewerten. Ihre Blicke sind nicht anerkennend, nicht mal freundlich. Ihre Augen sprechen von Neid, Missgunst, Unwissenheit, Verurteilung & Bewertung. Sie lassen ihre Blicke abschätzend oder abwertend an mir herunter gleiten, schon mein Leben lang. Sie rümpfen ihre Nase, vielleicht gefällt ihnen meine Hose nicht. Schon mein Leben lang. Der Preis, den man bezahlt, wenn man anders ist und nicht in Schubladen gesteckt werden will. Und dennoch versuchen sie, mich in ihre Schubladen zu stecken. Ihre eingeschränkte Denkweise nicht realisierend, machen sie mich verantwortlich für ihr Denken & Fühlen. Sie zeigen auf mich. Ich bin schuld. Ich weiß noch nicht mal, woran. Sie sind distanziert. Sie sind kalt. Ihr Sprechen über mich geht weiter: Sie setzen Gerüchte in die Welt. Nicht nur eins oder zwei oder drei oder vier. Keinen interessiert’s – niemand fragt:’Wie geht es Dir?’ Viel mehr darf ich’s locker nehmen, war ja schließlich nicht so gemeint.

Sieh mal, was ist das für eine? Wie sieht sie denn aus? Hast du die Klamotten gesehen? Ich kenn die, die ist eine Nutte, hat mit nem Kumpel von mir gevögelt. Ich hatte sie auch schon. Ihr Arsch wird auch immer fetter. So ne MILF. Sie ist eine sehr Wilde. Sie ist mir zu laut. Mir ist sie zu bunt. Sie hat keine Freunde, mit der will niemand befreundet sein. Sie lügt, wenn sie den Mund auf macht. So eine Egoistin. Und wie sie ihre Haare trägt. Sie war schon überall und nirgends. Ist das nicht die, die….

Ja was denn überhaupt…?

Lass die Leute reden, geht manchmal mehr, manchmal weniger und manchmal überhaupt nicht.

Kennst Du solche oder ähnliche Momente? Oder gar noch schlimmer?

Ich kenne das auch. Denn das ist meine Realität. Denn mein ganzes Leben hatte ich das Gefühl, nicht richtig zu sein. Nicht am richtigen Ort, nicht mit den richtigen Freunden, nicht mit dem richtigen Partner, nicht in der richtigen Schulklasse…

Leider steht das 21. Jahrhundert nicht nur für technologischen Fortschritt, Fast Food Lieferdienste oder Bank Überweisungen per App, sondern auch für menschliche Kälte, für Mobbing, für Lästereien und daraus resultierende Einsamkeit und für Distanz. Wir sind uns nah und doch so fern.

Ich hatte in meiner Vergangenheit oft mit Einsamkeit zu kämpfen, denn ich lief oft so durch die Straßen meines Dorfes, mit all den Blicken und dem Getuschel. Jeder wusste über mich Bescheid, gegrüßt hat mich keiner, aber gelästert. An Fasching wurde mir vom Vater eines ehemaligen Mitschülers an den Hintern gegrapscht, macht man halt mal.

Zu Geburtstagen oder Partys wurd ich selten bis nie eingeladen, gut, was will man auch machen, mit jemandem der sich nicht über’s Saufen definiert oder über Dorffußball.

Die täglichen Sticheleien oder Hänseleien gingen auch später weiter, mal war’s meine Nase, dann wieder irgendwas anderes.

Seither ist die Einsamkeit ein ständiger Begleiter. Bis heute. Und dazu vielleicht noch die Traurigkeit.

Ich für mich habe mich daher auch immer gesträubt, dies als meine Heimat anzuerkennen. Denn ist eine Heimat nicht eine Art sicherer Hafen?

Und ich bin jedes Mal froh, wenn ich weggehe, um überall und nicht nirgends zu sein. Denn nirgends ist für mich all das, all die Leute, all die Blicke, all die Lästereien.